Mein Fahrrad

Mein erstes Fahrrad bekam ich im Alter von 3 Jahren. Anfangs noch mit Stützrädern ausgerüstet umrundete ich das großelterliche Haus mit dem roten vollgummibereiften Ungetüm. Es dauerte nicht lange, und ich konnte auf die angebrachten Stützräder verzichten, da diese mich mehr behinderten als mir zu helfen. Ein ums andere Mal blieb ich mit den ausladenden Gestellen an den diversen Beeteinfassungen hängen und geriet dadurch ins Straucheln oder vollzog auf teils sehr schmerzhafte Weise unfreiwilligen Bodenkontakt. Der großelterliche Garten war ein wahres El Dorado für meinen ungestümen Vorwärtsdrang. Ich hatte riesigen Spaß ums Haus zu kreisen, ohne dass mir irgendetwas in die Quere kam. Ich radelte auf Wegen, Rasenflächen und Garagenzufahrten so schnelle es eben ging. Irgendwann dehnte ich meine Strecken bis in die Nachbarschaft aus und nutzte zu diesem Zweck auch öffentliche Wege und Straßen.

Nachdem mein erstes Fahrrad nicht mehr meinem Bewegungsdrang genügte, folgten diverse größere Räder entsprechend meinem Wachstum, an die ich allerdings nicht mehr so bleibende Erinnerungen habe. Ein Fahrrad habe ich jedenfalls im Vorschulalter im direkten Kontakt mit einem PKW nachhaltig zerstört. Auch meine Haltbarkeit wurde bei diesem Crash auf eine harte Probe gestellt. Irgendwie kam es zum ungewollten Kontakt zwischen mir und einem VW Käfer (Typ 1), von dessen Kofferraumhaube ich daraufhin weggeschleudert wurde. Nach kurzer Flugphase wurde ich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, dabei hatte ich viel Glück, weil ich auf einem Sandhaufen zu liegen kam. Mir wurde verdammt kalt und ich verlor mein Bewusstsein. Erst im Krankenhaus wachte ich wieder auf und wusste gar nicht so recht, was mit mir geschehen war. Polizisten und Ärzte stellten mir oftmals viele Fragen. Damals verstand ich nicht, welchen Sinn diese viele Fragerei haben sollte. Erst als ich wesentlich älter war, begriff ich den eigentlichen Sinn der diversen Fragen. Die Polizisten wollten die Schuldfrage klären, die Ärzte wollten herausfinden, ob ich nicht doch bleibende Schäden davontrug. Außer einer mächtigen Gehirnerschütterung und etlichen Prellungen und Hautabschürfungen blieb ich im Großen und Ganzen unbeschädigt. An die mir verordnete strenge Bettruhe hielt ich mich nicht, weshalb ich die später immer wiederkehrenden Kopfschmerzen mit meinem Fehlverhalten in Verbindung brachte. Was die Schuldfrage betraf, würde ich nach heutigem Stand sagen, dass mir die Vorfahrt genommen wurde, da ich aus einer einmündenden Straße von rechts kam. Zur damaligen Zeit war dies für mich natürlich bedeutungslos, für die PKW-Lenkerin hatte der Vorfall bestimmt Konsequenzen. Für mich war das Alles nur ein kleiner Unfall, ein Hinfaller, dem noch so einige folgen sollten, was im Kindesalter doch recht normal ist.

Als ich dann schon etwas größer war, kaufte meine Oma mit mir zusammen mein erstes Jugendrad. Es war blau und ich war mächtig stolz auf das neue Fahrrad. Mir wurde aufgetragen es regelmäßig zu putzen, damit die Chromteile auch noch in einigen Jahren rostfrei wären. Es war eine sehr mühsame Aufgabe, der ich nicht allzu gerne nachkam. Dieses Fahrrad beglitt mich einige Jahre und ich bewegte es vorwiegend im Stadtgetümmel meiner Geburtsstadt. Nachdem ich in der Schule die ersten Verkehrsregeln gelernt hatte, hatte ich größte Freude dabei, diese in der Praxis auf den Hauptverkehrsstraßen auszuprobieren. Ich mischte mich unter das Kraftfahrzeug fahrende Volk und probierte das Erlernte in Echtzeit aus, schließlich wusste ich, wie man sich verhalten muss, wenn man z.B. links abbiegen will. Heute bei der vorherrschenden Verkehrsdichte und Rücksichtslosigkeit der Verkehrsteilnehmer wäre ein solches Verhalten unvorstellbar und äußerst gefährlich. Aber es zeigte mir auch, wie wichtig diese Regeln sind und dass einem das Beherrschen der Verkehrsregeln das Leben erheblich erleichtern kann. Meine Erfahrungen aus dieser Zeit haben mein weiteres Leben ganz entscheidend geprägt.

Nachdem ich von der Stadt aufs Land gezogen war und die zurückzulegenden Entfernungen größer wurden, reifte in mir der Wunsch nach einem Rennrad, denn täglich mit meinem alten Jugendrad mehrere Kilometer zur Schule zu fahren, erwies sich als sehr anstrengend und nicht sonderlich effektiv, zumal es mittlerweile auch etwas zu klein war.
Über eine Nachbarin kam ich dann zu einem alten Bonanzarad, was damals noch cool war, aber nicht nach meinem Geschmack, da die Fahrbarkeit und das Handling des Rades sehr unter der Sattel- und Lenkeranordnung einbüßten. Ich besorgte mir eine längere Sattelstange und montierte diese in Verbindung mit einem Rennradsattel anstelle des Bananensattels. Außerdem drehte ich die Lenkerenden weiter nach vorn, so dass ich eine wesentlich sportlichere Ausrichtung erreichte. Auch mit diesem Rad hatte ich meinen Spaß, obwohl dieses Rad bleischwer war, was man eben durch Muskeleinsatz ausgleichen musste. Zwischendrin fand ich noch einen alten Mopedauspuff am Straßenrand, den ich, um etwas mehr Coolness an den Tag zu legen, am Rad montierte. Eine dumme Idee, wie ich später fand, denn das Rad wurde dadurch noch schwerer und langsamer.
Der Wunsch nach mehr Geschwindigkeit war eigentlich immer mein Ziel.
So nutzte ich meine gesammelten Konfirmationsgelder zur Anschaffung eines Rennrades der Marke Hanseatic. Es hatte 10 Gänge und war mit allem ausgestattet, was man für ein straßenverkehrtaugliches Fahrrad benötigt. Es war schon beachtlich, welche Geschwindigkeiten damit relativ einfach zu erreichen waren. Allerdings ging mein gesamtes Konfirmationsgeld in Höhe von 299 DM für den Kauf drauf. Im Grunde hatte ich meine Entscheidung nie bereut, bis zu dem Tag, als mich ein Klassenkamerad fragte, warum ich mir denn kein Mofa zugelegt hätte? So kamen mir erstmals Zweifel, ob denn meine Kaufentscheidung richtig war?
Alle Schulkameraden und Freunde waren zwischenzeitlich motorisiert bzw. beabsichtigten dies für die Zukunft. Um Ihnen nicht nachzustehen, wollte auch ich mich zukünftig mit Motorkraft fortbewegen.
Wie es der Zufall wollte, verkaufte gerade der Freund eines Freundes sein Mofa, weil dieser auf ein Mokick umstieg. Ich traf also eine folgenschwere Entscheidung, verkaufte mein Rennrad an einen Schulkameraden und erwarb dafür das Zweigang-Mofa, eine Hercules M5S. Bei weitem nicht so schnell wie mein Rennrad, aber man war wieder wer im Kreise seiner Freunde und der anderen Jugendlichen meines Alters. Damit begann für mich das Motorisierungszeitalter und das Fahrrad war nur noch ein alternatives Fortbewegungsmittel, sofern nur kurze Strecken zurückzulegen waren oder der Motor streikte bzw. meine Finanzen die Motorisierung verboten. Gleichzeitig festigte sich mit meiner Motorisierung und den zwangsläufigen Reparaturmaßnahmen und Frisierbestrebungen mein Berufswunsch. Ich wollte unbedingt Zweirad- oder Kraftfahrzeugmechaniker werden, letzteres setzte ich dann auch in die Tat um und habe diesen Schritt nie bedauert.

Seit dieser Zeit bewegte ich ein altes von einem Freund überlassenes Dreigang-Herrenrad durch die Lande, dass ich aber im Grunde nur innerorts einsetzte, bis sich das Tretlager auflöste und Ersatz nicht zu beschaffen war.

Während des Besuchs der Fachoberschule mussten die Schüler als Abschlussprüfung im Sport einen kleinen Triathlon absolvieren, es galt, wenn man für die 500 m Schwimmen, 30 km Radfahren (5 x um den Maschsee) und 6 km Laufen (1 x um den Maschsee) unter 2 Stunden bleibt, dann bekäme man die Note 1 im Abschlusszeugnis. Ich wollte unbedingt eine 1. Laufen trainierte ich täglich, war also fit. Radfahren sollte eigentlich auch kein Problem sein, doch um die Vorgabe zu erfüllen, brauchte ich ein passables Fahrrad. Im Freundeskreis wurde ich fündig, lieh mir ein reparaturbedürftiges Rennrad aus, strippte es bis auf das Notwendigste und präparierte es für den Start.
Es kam der Tag der Entscheidung, die mit Schwimmen begann. Nicht gerade meine Paradedisziplin, als Letzter mit mehr als 5 Minuten Rückstand auf den Vorletzten nach rund 15 Minuten verließ ich das Wasser. Da ich eine empfindliche Natur war, fönte ich mir sogar noch die Haare. So stieg ich mit Fönfrisur aufs bereitgestellte Rennrad. Runde um Runde kämpfte ich meine Konkurrenten bzw. Mitstreiter um eine gute Schulnote nieder bzw. es gab mir zusätzliche Motivation, Radfahren sollte ich können, und das ohne vorhergehendes Training. Doch letztlich braucht man nur eine solide Grundausdauer, und dann klappt es schon, dachte ich mir jedenfalls. Aber was mich an diesem Tag am meisten beeindruckte war die Tatsache, dass während meiner Radrunden ein außerhalb der Schülerwertung teilnehmender Semiprofi nach rund 1 Stunde schon das Ziel durchlief. Dann stand auch für mich meine damalige Paradedisziplin, das Laufen an. Ich stieg vom Rad und wollte gleich in den Laufschritt übergehen, doch meine Füße waren irgendwie taub und entzogen sich meiner Kontrolle. Ich hatte das Gefühl die Strecke im Entengang in Angriff zu nehmen. Glücklicherweise hielt dieser Zustand nur die ersten 50 m an, als ich meinen Rhythmus dann gefunden hatte, setzte ich meine Aufholjagd fort. Locker und flockig nahm ich meine letzte Maschseeumrundung unter die Füße und überholte noch den ein und anderen Mitschüler. Schließlich wurde ich mit einer Zeit von 1 Stunde und 55 Minuten belohnt, damit war mir eine 1 als Sportnote sicher. Noch nie hatte ich im Zeugnis eine 1 im Sport gehabt. Es war mein größter sportlicher Triumph und der Lohn für all die vorangegangenen Mühen.

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